Die Mitarbeiteraktion der Pfadfinder des Stamms Weiße Rose
Gestern war ein „richtig guter“ Tag. Jedenfalls ist das die Bewertung, die ich abgäben, wenn man mich fragte. Und da mich niemand explizit darum gebeten hat, meine Sicht auf den gestrigen Tag in einem Artikel festzuhalten, ist das wohl auch eine Bewertung, die ich ungefragt äußern möchte. Aus Dankbarkeit für diese „richtig gute“ Zeit.
Aber lassen Sie mich kurz eine Zeitreise zum Morgen des 29. April 2017 mit Ihnen antreten, denn an diesem Morgen begann der besagte Tag:
Es ist kurz vor 10 Uhr c. t. – so richtig zu spät bin ich also doch nicht. Das ist wohl der Vorteil am Rad fahren im Vergleich zum Fahren mit den öffentlichen Verkehrsmitteln: man kann durch eigene Anstrengung die benötigte Fahrzeit verkürzen und so eine drohende Verspätung zumindest eindämmen. Und ich bin auch nicht der letzte – da fehlt doch noch wer. Das ist aber überhaupt nicht relevant. Hier und da werden noch letzte Vorbereitungen für die gemeinsame Fahrt getroffen.
Das Ziel ist, offiziell betrachtet, zu diesem Zeitpunkt zwar noch geheim, wabert aber zumindest inoffiziell schon als nebulöse Ahnung durch die Bewusstseine der sechs Versammelten. Und da Marc als passionierter Ausrichter unserer Mitarbeiteraktion – Horrido! – schon im Vorfeld voller Vorfreude und übersprudelnder Leidenschaft war, haben sich die kleinen Nebeltropfen hier und da auch schon zu einer Betonwand aus Gewissheit manifestiert.
Ein Müsli später sitzen wir dann im Sattel und lenkten unsere Drahtesel und Stahlstuten gemächlich in Richtung Wannsee. Mir als Energieentwertungsmaschine und Rennsportler widerstrebt das anfangs. Da ich meine winddichte Jacke in der Gepäckträgertasche herumfahre, wird mir durch die fehlende Anstrengung recht bald kühl und ich drehe eine Extrarunde.
Der zum April gehörende, obligatorische Hagelschauer, der auf einer zehnstufigen Intensitätsskala von mir eine 2,5 erhält und nach höchstens fünf Minuten schon wieder vorbei ist, überzeugt mich schließlich von der Sinnigkeit, meine Jacke doch anzuziehen. Nachfolgend kann auch ich die entspannte Tour genießen und mich mit Sassi unterhaltend die Verkehrsregeln beugenden Vorreiter in eine kleine Sozialstudie einbeziehen.
Ein kurzer Stopp bei einer Filiale der Supermarktkette, die die Farben mit einem der bekannteren Fußballvereine der deutschen Hauptstadt gemein hat, ermöglicht uns, unsere Taschen und Rucksäcke mit aller Hand Grundnahrungsmitteln und einigen unsäglichen Erzeugnissen der Zuckerindustrie zu füllen.
Nachdem wir unsere Fahrräder am Zielort untergestellt und Grillgut und -kohle ausgeladen hatten, machen wir die Florian 1 – benannt nach dem Schutzheiligen der Feuerwehr – klar zum Ablegen. Luke, Conny und Philipp – nominiert für die Besetzung der Novelle „Die drei von der Plankstelle“ – weigern sich zwar, den Schrubber zu schwingen – warum man Boote waschen soll, entzieht sich aber ohnehin jeglichen Verständnisses. Der Besitzer des im Bild zu erahnenden Schrubbers hätte uns darüber aber sicher aufklären können. Er scheint jedenfalls ein sehr gründlicher Mensch zu sein, da er schon vor unserer Abfahrt und noch nach unserer Rückkehr zu Gange war.
„Leinen los!“, so schallt es in der Vorstellung vieler übers Deck, wenn ein Schiff ablegt. Aber traditionsreich wie die Schifffahrt ist, hat sie natürlich auch ihre eigene Sprache. Leinen findet man vielleicht im Garten gespannt, um auf diesen sein Leinen zu trocknen. Wir machen jedenfalls die Tampen los und steuern zunächst motorgetrieben hinaus auf den Wannsee.
Wir setzten die Segel. Auf unserer Fahrt gilt es, mitten durch die in wackligen Booten sitzenden Sirenen eines Sportrudervereins, die Jollen der Freien Universität, eine wilde Regatta und zwischen Fähren und Ausflugsdampfern hindurch zu manövrieren. Wir fahren hart am Wind und Kapitän Marc steuert irre lachend durch Wellenberg und -tal. Ob seine Augen dabei auch irre glitzern, kann ich durch seine Sonnenbrille nicht erkennen. Ich bin mir aber trotzdem sicher, dass dem so ist. Besonders Matrose Luke kann ein Lied davon singen, dass es dabei mitunter auch feuchtfröhlich zuging, wenn das Wasser sich dazu entschloss, auch mal ein wenig in unserem Segelboot mitfahren zu wollen.
Während wir den Wind kreuzen, wechseln wir von Back- zu Steuerbord und wieder zurück, was uns ein wenig warm hält. Das Wasser ist in dieser Hinsicht eher unser Antagonist. Daher machen wir uns auch bald wieder auf den Rückweg und können auf selbigen entspannt mit dem Wind segeln.
Zurück in der warmen Stube schlüpfen wir in trockenere Klamotten und bringen unsere Köpfe bei dem Spiel „Dobble“ zum Rauchen. Nach einigen Runden beginnen wir sogar damit, das Spiel ganz genau zu untersuchen und lernen das „Balanced Incomplete Block Design“ kennen. Da soll noch mal einer sagen, Mathematik und Kinderspiele wären nicht eng verknüpft.
Um auch unsere Körper von außen und innen zu wären, feuern wir den Grill an und auch die Sonne beehrte uns mit ihrer Präsenz. Zu dieser Zeit gesellt sich auch Kathi S. noch dazu und wir sind nun zu siebt. Ebenfalls eine tolle Zahl, die unter anderem schon von den Toten Hosen besungen wurde. Wir speisen reichlich. Dank 30 % Rabatt besteht kein Mangel und dem Wegwerfen von Lebensmitteln können wir so auch noch vorbeugen. Win-win. In der tat blieb sogar ein Becher Kartoffelsalat ungeöffnet. Bis das Essen letztlich auf dem Tisch stand, konnten wir aber auch nicht auszuschließen, dass wir nicht doch noch unverhofft Besuch von Felix bekommen werden.
Vor der Rückkehr in die jeweiligen Heime fahren wir noch einmal mit dem Boot hinaus. Doch diesmal nicht als Sportsegler, sondern als Fähre. Es gilt Johanna vom Stamm Otto-Witte vom Ableger Wannsee abzuholen. Das stellt sich aber als abenteuerlicher heraus, als zunächst gedacht. Da wir bei einem ersten Versuch im flachen Hafenbecken fast mit unserem Schwert auf Grund aufgelaufen wären, müssen wir nun ein Weg finden, wie Johanna die Absperrung der Stege queren kann. Mit ihrem großen Rucksack scheint ein Umklettern der Zäune eher weniger ratsam.
Wortgewandt, wie Berliner Frauen nun einmal so sind, gelingt es Johanna jedoch, den Security-Beauftragten der BVG dazu zu überreden, für sie die Tür aufzusperren, sodass sie schließlich doch an Bord gehen kann. „Vorsicht an der Hafenkannte!“, höre ich einen imaginären Sprecher undeutlich durch ebenfalls imaginäre Lautsprecher verkünden, als Johanna die anderthalb Meter vertikale Distanz zu unserem gemütlich am Steg dümpelnden Kahn zu überwinden hat. Ich gebe zu, dass ich nicht damit gerechnet hatte, dass das diplomatische Manöver mit dem Sicherheitsbeauftragten zum Erfolg führen würde. Aber ein Pfadfinder zu sein, eröffnet einem oft eben doch die Möglichkeit, auch ungewöhnliche Wege zu gehen. Mit einem guten Gefühl fahren wir nach diesem Erfolg zurück zur Zuflucht hinter der Feuerwache.
Mir gehen bei solchen Aktionen immer die Muffen und ich denke: „Oh Gott, oh Gott. Hoffentlich geht das gut.“ Aber genau diese Aktionen sind es, die mir wohl für immer in Erinnerung bleiben werden. Diese Situationen sind es, die ich am Pfadfinden so liebe. Sie erwecken meine Lebensgeister stets aufs Neue. Und die Moral all der Geschichten, die ich dereinst meinen Enkeln am Lagerfeuer erzählen werde, wird sein, dass ich diese besonderen Aktionen habe durchstehen können, weil wir eine starke Gemeinschaft sind.
Nur mit der Unterstützung und in Anwesenheit meiner Wahlfamilie wachse ich über mich selbst hinaus und ringe meine inneren Dämonen der Angst nieder. Manch einer mag die resultierenden Aktionen waghalsig, lebensmüde oder einfach nur „bekloppt“ nennen. Ich nenne sie „das wahre Leben“. Die Grenzüberschreitung aus dem Alltag heraus, hinein in das ultimative „Hier und Jetzt“. Dass ich das erleben darf, dafür bin ich immer wieder dankbar. Ich wünsche mir, dass auch andere so etwas erleben können, und schöpfe aus der gelebten Beziehung zu den von mir geliebten und bewusst immer wieder aufs neue erwählten Basen, Brüdern, Schwestern und Vettern die Kraft, mich für die Umsetzung dieses Ziels zu engagieren.
Liebe deine Nächsten und dir wird die Kraft zum wahren Leben zuteil.